Die hessisch-russischen Beziehungen
Die hessisch-russischen Beziehungen
Seit der ersten Hälfte des 19. Jahr-hunderts waren die hessischen Kurorte das Ziel hunderttausender Russen. Die aristokratische und intellektuelle Elite Russland’s hielt sich zum Teil monatelang in hessischen Kurorten zur Erholung und Zerstreuung auf. Viele von ihnen blieben aber auch auf Dauer, ließen prachtvolle Villen errichten und trugen mit ihrem großen Reichtum zum Wohlstand und der rasanten Entwicklung der hessischen Bäder bei. Für nahezu alle berühmten Familien wie die Zaren und ihre Familienangehörigen, Tolstoi, Dolgoruki, Troubetzkoi, Loris-Melikov, Gagarin, Woronzow-Daschkow und viele andere waren Reiseziele in Hessen gleichbedeutend mit Cannes, Nizza, St. Moritz.
Noch heute erinnern die russisch-orthodoxen Kirchen in Bad Homburg, Bad Ems (ehemals nassauisch), Bad Nauheim, Darmstadt und Wiesbaden an den Einfluß der russischen Kultur
in Hessen.
Die als Grabkirche errichtete russisch-orthodoxe Kirche in Wiesbaden gilt als bedeutendstes Bauwerk seiner Art in Westeuropa. Sie wurde als Grabkirche für die Herzogin von Nassau, einer geborenen Großfürstin von Russland erbaut.
In unmittelbarer Nähe zur Kirche befindet sich der Friedhof, auf dem berühmte Russen ihre letzte Ruhestätte fanden.
Zu ihnen gehören die Gräber des großen Expressionisten Alexej von Jawlensky und seiner Frau Helene, des Fürsten Georgij A. Jurjewski und seiner Schwester Olga Gräfin Merenberg, Kinder des Zaren Alexander II aus seiner morganatischen (nichtebenbürtigen) Ehe mit der Fürstin Jurjewskaja.
Große Werke russischer Künstler gehen auf die Aufenthalte in hessischen Städten zurück. Ivan Turgénevs Wiesbaden-Aufenthalt verarbeitete er in seinem Roman “Frühlingswogen”, einer seiner Übersetzer, der Dichter Friedrich von Bodenstedt, lebte zwei Jahre als Erzieher der Kinder des Fürsten Galizin in Moskau und verbrachte seinen Lebensabend in Wiesbaden. Weltruhm erlangte Dostojewskis Roman “Der Spieler”, in dem er seine Eindrücke aus den Erlebnissen in den Spielbanken Bad Homburg’s und Wiesbaden’s geschildert werden.
Dostojewskij-Denkmal im Kurpark Wiesbaden
Igor Strawinsky besuchte Wiesbaden viermal zu Konzerten und Begegnungen mit seinem Verleger Willy Strecker.
Zwei seiner großen Kompositionen, das Melodram Perséphone und sein Violinkonzert entstanden nach Treffen mit dem französischen Nobelpreisträger André Gide und dem Geiger Samuel Dushkin in Wiesbaden. Neunzehn Jahre lang lebte Alexej von Jawlensky in Wiesbaden.
Das Museum Wiesbaden besitzt heute die bedeutendste Sammlung seiner Werke.
Der russische Universalgelehrte Lomonossow studierte von 1736-1739 an der Marburger
Philipps-Universität und heiratete eine Marburgerin. An der selben Universität studierte auch der Nobel-Preisträger Boris Pasternak zwischen 1912-1914 Philosophie und schrieb über Marburg: “Wenn das hier nur eine Stadt wäre! Aber es ist ein mittelalterliches Märchen”.
Heute ist die Philipps-Universität durch einen Wissenschaftleraustausch mit der Lomonossow-Universität Moskau, dem Puschkin-Institut für russische Sprache und der Medizinischen Akademie Setchenov verbunden.
Ebenso enge Beziehungen bestanden in dynastischer Sicht zwischen dem Großherzogtum Hessen , dem Herzogtum Nassau und Russland. Zwei Zarinnen stammten aus Darmstadt. Die erste Ehefrau Zar Alexander II., Prinzessin Marie von Hessen und bei Rhein, letzte Zarin und Gemahlin des Zaren Nikolaus II. Alix‘ Schwester, Prinzessin Elisabeth war wiederum mit dem Großfürsten Sergej, dem Bruder des Zaren Alexander III. vermählt.
Aus der Dynastie Nassau sind von besonderer Bedeutung die Heirat des Herzogs Adolf von Nassau mit der Großfürstin Elisabeth Michailowna, der Nichte der Zaren Alexander I. und Nikolaus I. und die morganatische Heirat des Prinzen Nikolaus von Nassau mit der Tochter des Lyrikers und Dramatikers Alexander S. Puschkin.
Unter den hessischen Unternehmern in St. Peters-burg nahm der exzentrische Baron von Krauskopf eine wichtige Position ein. Er verdiente als Inhaber der heute noch existierenden und sich in Staats-besitz befindlichen Gummistiefelfabrik “Triugolnik” ein Vermögen. Als die “russischen Rothschilds” galt die aus dem hessischen Arolsen stammende Familie Stieglitz, die letzten Hofbankiers Russland’s.
Heute unterhalten viele bedeutende hessische Unternehmen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Allen voran die in Frankfurt ansässigen Großbanken. Mit vielfältigen Aktivitäten trägt das Land Hessen im Rahmen einer offiziellen Partnerschaft mit der russischen Region Jaroslawl zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Rahmen-bedingungen seit zehn Jahren bei.
Quelle: HERUS Hessisch-Russische interkulturelle Beziehungen